Review "Leserkanone.de"
"Die Menge an Romanen, für die Portugal zum Schauplatz auserkoren wurde, ist - gelinde gesagt - überschaubar. Und wenn man das Ganze auch noch auf Kriminalromane eingrenzt, dann reichen beinahe schon die Finger aus, um alle abzuzählen. Umso erfrischender, dass es mit »Der Hirte ist mein Herr« aus der Feder von Randolph Kroening seit wenigen Wochen einen neuen Portugal-Krimi gibt. Und diesen haben wir uns einmal etwas näher angeschaut.
Randolph Kroening stammt ursprünglich aus Deutschland und war hier als Consultant für eine große Unternehmensberatung tätig, ehe er das Land verließ und in Portugal aufschlug. Dort wohnt er in José Mourinhos Heimatstadt Setúbal in geringer geografischer Distanz zur Hauptstadt Lissabon, in der er auch arbeitet. Dementsprechend lag es nahe, seine Romane in die schrumpfende Stadt am Téjo zu verlegen, und dementsprechend kennt er sich dort auch hervorragend aus - ganz anders also als die vielen deutschen Krimiautoren, die ihre Romane in die Provence oder Bretagne verlegen, obwohl sie sie in ihrem stillen Keller in der Uckermark verfassen. »Der Hirte ist mein Herr« ist Kroenings zweiter Roman, er wurde von ihm in Eigenregie veröffentlicht und erschien Anfang November. Das rund 300 Seiten starke Buch kostet auf Papier 9,99 Euro, in der digitalen Variante drei Euro weniger. Darüber hinaus können es Abonnenten des Amazon-Services »Kindle Unlimited« auch kostenfrei lesen.
»Der Hirte ist mein Herr« ist der zweite Roman in Kroenings Reihe »Im Schatten des Santa Justa«, deren Name an einem großen Personenaufzug angelehnt ist, der zwei Lissabonner Stadtteile miteinander verbindet. Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass die Protagonistin des ersten Bandes - Carina Andreia da Cunha mit Namen - hier wieder die Hauptrolle spielt. Dennoch muss sich niemand abgeschreckt fühlen, der den ersten Roman (»Auf die Sekunde genau«) nicht gelesen hat: Die Romane sind vollständig in sich abgeschlossen, und man wird auch nicht mit unverständlichen inhaltlichen Bezügen auf das andere Buch konfrontiert. Stattdessen lernt man Carina und die anderen Protagonisten von Anfang an gut genug kennen, um sich gleich in die Story hineinzufinden. Dazu trägt bei, dass die Ermittlungen hier tatsächlich Kern der Sache sind und nicht etwa ein gebrochenes Persönlichkeitsprofil des Helden oder dergleichen die wahre Hauptrolle spielt, wie es beispielsweise bei skandinavischen Autoren oft der Fall ist. Man kommt also ohne jedes Verständnisproblem sehr gut in die Geschichte hinein, auch wenn es sicher nicht schaden kann, den anderen Roman gelesen zu haben, denn glaubt man meinem Kollegen Christoph, ist dieser auch ein sehr empfehlenswertes Buch.
Natürlich ist es auch nicht notwendig, Lissabon-Insider zu sein - das wäre auch keine gute Idee gewesen, denn dann hätte sich der potenzielle Leserkreis doch stark ausgedünnt. ;) Stattdessen tut Kroening einiges, um seinen Lesern Land und Leute und auch deren Vergangenheit anschaulich näherzubringen. Das nicht nur in Worten, denn das Buch enthält ganz nebenher auch einige (schwarz-weiße) Fotos, mit denen Schauplätze & Co. illustriert werden. In der Form ist mir das bisher noch nicht begegnet, aber da Lissabon nun mal nicht gerade eine Stadt ist, die Otto Normalleserin permanent vor dem inneren Auge hat, war dies eine sehr gute Idee.
Kern des Ganzen ist aber natürlich ein Verbrechen. Wie in so vielen Fällen ein Mord, der hierbei in einem Luxushotel geschieht. Zunächst scheint vollkommen ungewiss, wer der Täter sein könnte, nur eines scheint festzustehen, nämlich dass es sich dabei um eine Frau handelt, mit welcher der umgebrachte Tourist kurz vor seinem Tod noch das Bett teilte. Carina Andreia da Cunha und ihr Team sollen die letzten Stunden des Opfers rekonstruieren, kommen jedoch gar nicht erst dazu, dies vollständig zu erledigen, ehe es zu einem erneuten Todesfall kommt - der nach dem gleichen Muster abgelaufen ist. Und so kommt die Sache langsam ins Rollen.
Zugegebenermaßen hatte ich vor Beginn des Lesens keine Ahnung, was ich von einem Portugal-Krimi erwarten sollte. Bei den »althergebrachten« Krimiregionen assoziiert man ja schon vorab eine gewisse Richtung, in die sich das Buch entwickeln soll: Von Frankreich-Krimis erwartet man viel Platz für Ortsbeschreibungen und eine gewisse Unterordnung des Falls unter das Savoir-vivre, von einem Bayern-Krimi erwartet man einen gemütlichen dicken Ermittler und skurrile Dorfbewohner, von Ostfriesland-Krimis erwartet man Untaten auf etwas kleinerem Verbrechenslevel, Leichen am Strand oder irgendetwas mit Schafen. Aber Portugal? Ich hatte keinen Schimmer. Bekommen habe ich einen »klassischen« Ermittlerkrimi, der eher aufs Gaspedal tritt als sich an Details aufzuhalten und immer dann, wenn es darauf ankommt, noch einmal anzuziehen scheint, kurze klare Sätze, nicht selten aus nur einem Wort bestehend, schnelle Dialoge, blitzschnelle Szenenwechsel, manchmal schon nach einer Seite. Vielleicht ist das auch nur ein verzerrter subjektiver Eindruck, der zustandekommt, da die einzelnen Geschehnisse stets minutengenau in Szene gesetzt wurden, auf jeden Fall aber wird man beim Lesen dadurch gut auf Trab gehalten. Der Spannung ist es auf jeden Fall zuträglich.
Randolph Kroening hat einen jederzeit nachvollziehbaren Fall vom Anfang bis zum Ende sehr gut durchkonstruiert, zieht gleich mit einem Einstiegstod den Spannungsbogen straff und sorgt damit dafür, dass das Leserinteresse sofort da ist. Anschließend hält er das früh angeschlagene Niveau ohne jeden Ausrutscher mühelos durch. Die Charaktere überzeugen, die Dialoge haben jederzeit Schwung, stilistische Besonderheiten wie gelegentliche Untereinander-Aufzählungen (»Er schrie.« - neue Zeile - »Er drohte.« - neue Zeile - »Er fluchte.« - neue Zeile - »Er bettelte.«) sind beim Lesen äußerst wirkungsvoll (viel mehr, als es in dieser Besprechung erscheinen kann), und auch ansonsten stimmt an dem Buch einfach alles. So schlägt man es am Ende zufrieden zu und freut sich auf »Das Vergnügen ist ganz auf deiner Seite«, den dritten Band der Reihe, der derzeit in Vorbereitung ist - zumindest für diesen Band ist das Vergnügen jedenfalls ganz auf Seiten des Lesers gewesen."
– geschrieben von Mirjam Häger (30. Dezember 2016)